Pläne für Bahnhofsareal: Was sagt eigentlich unser Regionales Einzelhandelskonzept dazu?

Oliver Grau

01.11.21 13:53

© Barth - Saller Bau

Bebauungspläne am Bahnhofsareal im Faktencheck 

Was sagen unabhängige Stadtplaner zu den Plänen?

Was haben wir bereits in Saalfeld?

Wo steht Saalfeld im Vergleich?

Welche Risiken gibt es?


Im Städtedreieck (Saalfeld, Rudolstadt, Bad Blankenburg) gibt es ein Regionales Einzelhandelskonzept (REHK), was erst im Dezember 2020 durch die Stadträte der 3 Städte beschlossen wurde. Beauftragt mit der Erstellung wurde ein unabhängiges und auf die Thematik spezialisiertes Stadtplanungsbüro.  

Auf telefonische Nachfrage beim Planungsbüro erhält man die Antwort, dass Saalfeld gar keinen Mangel an Handelsfläche habe und man das Bahnhofsareal auch gar nicht als Handelsfläche sehe. Weitere Informationen findet man im Konzept. Also schauen wir da doch mal rein.


Wieviel Handelsflächen gibt es eigentlich in Saalfeld?

Laut dem aktuellen Regionalen Einzelhandelskonzept des Städtedreiecks am Saalebogen ist in Saalfeld/Saale eine Gesamthandelsfläche von 78.850 m² (253 Einzelhandels-Betriebe) vorhanden. Das entspricht einer Verkaufsfläche von 2,33 m² pro Einwohner.

Im aktuellen REHK geht man von 32.522 Einwohnern aus (Stand 2019). Da unsere Bevölkerung jährlich um ca. 1% abnimmt, sollte man diese Veränderung durchaus mit einbeziehen und aktualisieren. Laut Landesamt für Statistik Thüringen hat die Stadt Saalfeld/Saale Stand 30.6.2021 noch 28.897 Einwohner, was dann einer aktuellen Verkaufsfläche pro Einwohner von 2,73 m² entspricht.

Bis 2040 prognostiziert das Landesamt für Statistik einen Bevölkerungsschwund in Saalfeld auf 24.360 Einwohner. Bei gleicher Handelsfläche würde das einen Zuwachs auf 3,27 m² Verkaufsfläche je Einwohner bedeuten.

Zum Vergleich, in Deutschland liegt der Wert „Verkaufsfläche je Einwohner“ bei 1,51 m².

Nun lässt sich über die verfügbare Verkaufsfläche je Einwohner allein noch keine Aussage über die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen ableiten. Hier kann man andere Handelskennziffern heranziehen, wie die Flächenproduktivität (den Nettoumsatz pro m² Verkaufsfläche). Dazu findet man u.a. einiges bei Statista. Dabei erkennt man deutlich, dass mehr Verkaufsfläche pro Einwohner nicht automatisch mehr Umsatz bedeutet – in Hamburg beträgt die Verkaufsfläche je Einwohner 1,5 m² je Einwohner, in Stuttgart 1,6 m² je Einwohner, in Berlin 1,4 m² je Einwohner.

Das liegt vor allem an der Kaufkraft, bei der wir immer noch deutlich unter Durchschnitt liegen – in Saalfeld bei Index 89,5 vom deutschen Durchschnitt 100. Siehe Daten der IHK Ostthüringen.

Kurz und knapp: Wir haben jetzt schon deutlich mehr Verkaufsfläche als im deutschen Durchschnitt und das bei ebenso deutlich niedrigerer Kaufkraft als im deutschen Durchschnitt. Es ist also davon auszugehen, dass weitere 2.500 m² Einzelhandelsfläche am Bahnhofsareal zu mehr Verdrängung führen und in der Folge andere/ältere Standorte schließen. Das Risiko einer neuen Brache, nur an anderer Stelle ist absolut gegeben.


Am Bahnhofsareal plant der Investor nun einen Lebensmittelmarkt und einen Bio-Markt. Was uns zu der Frage führt: Wieviele Lebensmittelmärkte und welche Flächen sind in Saalfeld und dem Städtedreieck bereits vorhanden?

Auch hier gibt das Regionale Einzelhandelskonzept Aufschluss.

·       Die Verkaufsfläche für Nahrungs- und Genussmittel in Saalfeld beläuft sich auf 15.150 m² - das entspricht 19,21 % der Saalfelder Gesamtverkaufsfläche von 78.850 m².

·       Im Städtedreieck beträgt die Verkaufsfläche für Nahrungs- und Genussmittel 35.250 m² - das entspricht 25,6 % der Gesamtverkaufsfläche im Städtedreieck von 137.800 m².

·       Von 173 Einzelhandels-Betrieben im Städtedreieck, haben davon 80 ihren Standort in Saalfeld.

Kurz und knapp könnte man sagen: Lebensmittelmärkte sind genug da, uns fehlt es an nichts.


Ist eine weitere Ansiedlung eines solchen Marktes überhaupt mit dem Regionalen Einzelhandelskonzept vereinbar?

Im Regionalen Einzelhandelskonzept auf Seite 92 kann man folgendes lesen:

 „… Die Attraktivität des Einzelhandelsangebots und deren Multifunktionalität in den Innenstädten sind ein besonders wichtiges Indiz für die Ausstrahlungskraft und Stärke des Einkaufsstandorts Städtedreieck am Saalebogen insgesamt. Vor diesem Hintergrund sind die Innenstädte Rudolstadt und Saalfeld/Saale als bedeutende Versorgungsstandorte im Städtedreieck weiterhin in besonderem Maße zu sichern und zu stärken und konterkarierende Planungen auszuschließen. Hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen ist vor allem die Konzentration des Einzelhandelsangebots auf sich gegenseitig ergänzende Standortbereiche (Innenstädte – Nahversorgungszentren – Nahversorgungsstandorte – Sonderstandorte) weiter herauszuarbeiten. Dabei ist insbesondere eine qualitative und weitere räumliche Optimierung der Angebotsstruktur anzustreben. 

Es ist also speziell zu hinterfragen, ob die Angebote, die die Firma Saller in Form von Mietern bringt, nicht andere, bereits bestehende Angebote gefährdet. Stichwort Verdrängung.

Ein Bio- oder Frischemarkt, der eventuell Kartoffeln aus Ägypten oder Erdbeeren aus Spanien im Sortiment führt ist aus unserer Sicht generell zu hinterfragen. Es gibt am Watzenbach bereits den Bauernmarkt und in der Nähe gleich 2 regionale Bäckereien (Schöler, Räthe) und einen regionalen Fleischer (Dorfilm). Außerdem in unmittelbarer Nähe befindet sich eine Norma-Filiale, eine Netto-Filiale und in Gorndorf ein Rewe-Markt, der ebenfalls einen regionalen Anspruch hat und regionale Produkte vertreibt.

Zusätzlich sehen wir ein Risiko in der baurechtlichen Eingrenzung, also ob es uns als Stadt überhaupt möglich ist das so genau festzulegen. Was ist wenn sich kein Bio-Markt als Mieter findet und dann plötzlich doch ein großer Discounter mit innenstadtrelevantem Sortiment quer bei Fuß steht?

Wenn es ein Tegut-Markt wird, bleibt es langfristig ein Risiko, ob der wertvolle und städtebaulich integrierte Standort in der Südstadtgalerie erhalten bleibt. Sicherheiten wären hier wichtig. Eine Garantie konnte der Projektleiter im Stadtrat nicht geben.

Es ist also kritisch zu sehen, ob es mit dem REHK vereinbar ist am Bahnhofsareal weitere Einzelhandelsfläche zu schaffen. Saalfeld hat bereits ausreichend viele Einzelhandelsflächen. Selbst der Projektleiter des Investors hat in Stadtratssitzung eingeräumt, dass frühere Planungen nicht sinnvoll waren. Ob die aktuelle Planung für Saalfeld sinnvoll ist, ist alles andere als sicher.

Weiterhin ginge mit der Schaffung einer weiteren Einzelhandelsfläche die Errichtung von kostenlosen Parkplätzen einher. Vor einigen Jahren hat die Stadt einen 1,2 Millionen Euro teuren Park & Ride Parkplatz am Bahnhof bauen lassen. Die Einnahmen dürften dann wegbrechen.

Kurz und knapp, kann man sagen das sind ganz schön viele Kompromisse, die wir als Stadt eingehen müssen, um diese Fläche zu entwickeln.


Sie haben es bereits herausgelesen. Die Bürger für Saalfeld sehen einen weiteren Einzelhandelsstandort kritisch. Insbesondere mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung. Wir wissen natürlich auch um die Kompromisse und die komplexe Situation. Auch erkennen wir an, dass sich der Investor bewegt hat. Die Planung ist deutlich kleiner und verträglicher als vor 6 Jahren. Auch ein Spielplatz ist angedacht. Interessant ist auch das Eingeständnis des Projektleiters, dass wir Saalfelder mit der Ablehnung damals richtig entschieden haben.

Wenn wir Saalfelder es aushalten, dass diese Fläche erstmal weiter brach liegt, ergibt sich vielleicht doch noch einmal etwas ganz anderes als Einzelhandel. Sollte der Stadtrat zustimmen, wird es ebenso mindestens bis 2025 dauern, so die Prognose des Projektleiters. In beiden Fällen also noch Jahre.


Mehr zum Thema:

Link zum Regionalen Einzelhandelskonzept (198 Seiten)

Link zum BfS Beitrag vom 06.05.21

Link zum OTZ Artikel "20.000 Einwohner weniger in 20 Jahren"